Das Sujet eines nie geschriebenen Romans

Nehmen wir an, Sie wären der Präsident eines Landes, das früher einmal mächtig, aber durch Misswirtschaft und Korruption an den Bettelstab geraten war. Sie haben dieses Land von einem gutwilligen Trottel übernommen, der seinen Verstand seiner Alkoholkrankheit geopfert hatte. Unter ihnen kam etwas Ruhe in das Land, und so wurden sie bei den Wahlen von Ihrem Volk bestätigt. Sie fanden Gefallen an der Macht, und so gingen Sie daran, mit Freunden aus Ihrer Jugendzeit und Ihren Berufskollegen aus einem Unternehmen, das wir der Einfachheit halber „Firma“ nennen, ein Netzwerk aufzubauen, um abzusichern, dass Sie und Ihre Freunde dauerhaft an dieser Macht bleiben konnten.

Die Vorschriften der Verfassung, wonach Sie nur zwei Wahlperioden hintereinander die Staatsführung innehaben durften, umgingen Sie durch einen Trick. Sie setzten einmal aus und ließen Ihren besten Freund und vormaligen Premierminister den Präsidenten spielen, während sie selbst den Ministerpräsidentenjob übernahmen und von dort aus den Staat lenkten. Nach der Wahlperiode wurde die Rochade rückgängig gemacht – und Sie waren wieder Präsident.

Stück für Stück sorgten Sie dafür, dass mögliche Kritiker Ruhe gaben und das Parlament nur noch mit Ihren Anhängern besetzt war. Sie ließen alle unabhängigen Medien bis auf wenige unbedeutende Feigenblätter durch von Ihnen steuerbare Personen übernehmen. Die relevanten Wirtschaftsunternehmen Ihres Landes teilten Sie unter Ihren Firmenkollegen auf. Wer sich als Wirtschaftsführer aus der Ära Ihres Vorgängers Ihnen verweigerte, dem ließen Sie mit fadenscheinigen Vorwürfen den Prozess machen. So wurde er erst enteignet und anschließend inhaftiert.

Um sich die Zustimmung im Volk zu sichern, gingen Sie nach verschiedenen Methoden vor, die Sie in Ihrer Firma gelernt hatten. So organisierten Sie Terroranschläge, die Sie einer speziellen, in Teilen zur Militanz neigenden Glaubensminderheit andichteten. Sie erklärten sexuelle Ausrichtungen, die nicht dem traditionellen Modell Ihrer einfältigen Bevölkerung folgten, öffentlich für abartig und sorgten dafür, dass sich über diese Gruppe ständig zunehmender Hass entlud. Und Sie schürten beharrlich eine latente Angst vor einem mächtigen, außenpolitischen Konkurrenten, den Sie als ewigen Feind darstellten. Diesen konnten Sie für all jene Übel verantwortlich machen, unter denen Ihr Volk Ihretwegen leiden musste.

Die Natur hatte es gut mit Ihnen gemeint. Ihr unterbesiedeltes, aber großes Land verfügte über unendlich viele Rohstoffe, die Sie weltweit zu hohen Preisen verkaufen konnten. Das Geld sprudelte unerwartet und scheinbar ohne Ende in Ihre Kassen, wurde zu einem kräftigen Finanzpolster. Der Hunger der Welt nach diesen Rohstoffen schien derart unersättlich, dass Sie davon ausgingen, es würde ewig immer mehr und mehr Geld in die Kassen gespült werden. Das ließ in Ihnen den Gedanken reifen, etwas ganz Großes, noch nie Geschehenes zu schaffen.

Wenn auch alles zu Ihrer Zufriedenheit geregelt schien, so litten Sie doch darunter, dass Ihr Land früher einmal viel größer gewesen war. Viele Völker, die heute in eigenen, unabhängigen Ländern lebten, gehörten früher zum kolonialen Imperium Ihres Reiches. Nun waren diese Völker nicht nur abgefallen, sondern hatten sich in der überwiegenden Anzahl auch dem von ihnen als größtem Feind betrachteten Land zugewendet. Dessen Einfluss auf der Welt wuchs und wuchs, während der Ihres Landes beständig abnahm. Doch das viele Geld in ihren Kassen schien die Möglichkeit zu bieten, das zu ändern.

In Ihren Streitkräften hatten Sie einen überaus fähigen Strategen, der viel darüber nachgedacht hatte, wie man aus einer Position der militärischen Schwäche heraus trotzdem einen Krieg führen und gewinnen könne. Die militärische Schwäche war noch eine Nachwirkung Ihrer Vorgänger unter denen das Militär verrottet war. Nur Ihre tödlichste Waffe – eine Bombe, die, in Menge eingesetzt, die gesamte Welt zerstören konnte – befand sich noch in Ihren Silos und war einsatzbereit. Ihr Problem aber war, dass das Militärbündnis Ihres Feindes, dem sich auch viele Ihrer früheren Kolonien angeschlossen hatten, auf ein grundsätzliches Prinzip geschworen hatte. Egal, auf wen von uns eine solche Bombe fällt oder wen immer auch Sie angreifen würden – das Militärbündnis würde sofort reagieren und im äußersten Falle gemeinsam zum finalen Gegenschlag ausholen. Deshalb konnten Sie Ihre Superbombe derzeit nicht tatsächlich einsetzen. Aber Sie konnten damit drohen und Angst verbreiten. Das war besser als gar nichts – und Sie taten es ausgiebig. Ihre konventionellen Streitkräfte waren hingegen immer noch zu schwach, um den Gegner herauszufordern – obgleich Sie mittlerweile die Produktion von neuem Kriegsgerät in Auftrag gegeben hatten und Sie erste Prototypen präsentieren konnten.

Trotzdem wollten Sie Ihr Land zu der alten Größe zurückführen. Sie ganz persönlich mussten derjenige sein, der dieses schafft. Das war Ihre große, Ihnen vom Schicksal zugeteilte Aufgabe. Und geschehen müsste es, ohne dafür einen klassischen Krieg zu riskieren – denn den würden Sie verlieren. Dessen waren sich Ihre Kriegsfachleute sicher.
Da nun kam Ihnen Ihr Militärstratege gerade recht. Er hatte ein revolutionäres Konzept entwickelt, wie man selbst funktionsfähige Staatswesen durch Destabilisierung ausschalten und vielleicht sogar übernehmen konnte.

Um dieses zu erreichen, musste die innere Ordnung erheblich durcheinander gebracht werden. Dazu gab es ein Bündel von Maßnahmen, die sämtlichst subversiv ohne erkennbare Hintermänner zu organisieren waren. In seiner ganzen Tragweite und seinen Fähigkeiten hatten Sie das Konzept nicht nachvollzogen – es reichte Ihnen völlig, ein Instrument zu haben, mit dem man missliebige Regierungen ablösen und Staaten ins Chaos treiben konnte. Sie bestimmten nur das Ziel – und dann konnte es losgehen.

Ein erster Versuch, dieses Konzept zu erproben, sollte sich unerwartet in einer benachbarten, ehemaligen Kolonie ergeben. Dort hatten Sie seit einiger Zeit einen Getreuen an der Macht gehabt, des sich durch Sie gut lenken ließ. Doch plötzlich brachen Unruhen aus, die Ihren Getreuen trotz Unterstützung durch Sie außer Landes jagten und eine gegen Sie gerichtete Regierung einsetzten. Sie reagierten schnell und ließen Ihren Strategen der Subversion freie Hand. Im Handstreich übernahmen Sie so eine Insel, auf der Sie immer noch einen wichtigen Militärstützpunkt hatten. In einigen anderen, an Ihr Land angrenzenden Provinzen der abtrünnigen Vasallen gingen Sie ähnlich wie auf der Insel vor – doch Ihr ursprünglicher Plan, sich mindestens die Hälfte der alten Kolonie zu unterwerfen, scheiterte an den dortigen Bürgern und daran, dass es den Kräften, die Ihren Getreuen vertrieben hatten, doch tatsächlich mit logistischer Unterstützung durch Ihren Hauptgegner gelang, Ihre Subversionstruppen aufzuhalten. So mussten Sie sich erst einmal mit dem zufrieden geben, was bislang erreicht war.

Allerdings wurde der Preis für Ihre Eroberungen hoch. Ihr Hauptgegner und seine Verbündeten hatten sich zusammengeschlossen und gegen Sie und Ihr Land Strafmaßnahmen durchgesetzt, die insbesondere auf Ihre Haupteinnahmequelle zielten. Damit wurde Ihnen das ständige Anschaffen neuer Rohstoffe deutlich erschwert. Gleichzeitig verlor ganz unerwartet der Wert Ihres Hauptrohstoffes ständig an Wert. Daran waren Sie selbst zwar nicht ganz unschuldig, weil Sie beständig immer mehr davon produziert hatten, sodass es plötzlich keine Abnehmer mehr gab – doch die Hauptschuld fanden Sie woanders. Nämlich wieder bei ihrem ärgsten Gegner, der durch neue Techniken angefangen hatte, sich vom Rohstoffimport abzunabeln. Und der seinen Verbündeten, der vor Ihnen der größte Produzent dieses Rohstoffes gewesen war, davon abhielt, seine Produktion zu Ihren Nutzen zu verringern.

Durch den Wertverfall Ihres Rohstoffes kam nun immer weniger Geld ins Haus. Gleichzeitig aber verschlangen Ihre Abenteuer immer mehr von Ihrem Polster, sodass absehbar sein würde, dass Sie nach spätestens drei Jahren nicht mehr genug Geld hätten, um die eigenen Mitarbeiter und Anhänger zu entlohnen. Die Zeit drängte – und so fiel Ihr Auge auf die nahe gelegenen Länder, die früher an der Peripherie Ihres Kolonialreiches gelebt hatten und durch den Zusammenschluss zu einer Wirtschaftsgemeinschaft in der Lage gewesen waren, ganz an die Spitze der Welt vorzustoßen.

Eine Zeitlang hatten Sie darüber nachgedacht, sich selbst an diese Gemeinschaft anzunähern, vielleicht sich ihr sogar anzuschließen. Doch diese Gemeinschaft war in ihrer gegenwärtigen Form dafür nicht geeignet. Vor allem das von Ihnen entwickelte Herrschaftsmodell war in diesen Länder, die immer noch einer Art Volksherrschaft frönten, derzeit nicht durchzusetzen.

Doch wieder spielte der Zufall in Ihre Hände. Eines der schwächsten Glieder dieser Gemeinschaft war bankrott – und die anderen waren es eigentlich leid, den Hungerleider ständig durchzufüttern. Durch dort abgehaltene Wahlen kamen nun zwei Gruppen an die Macht, die beide enge Bindungen an Sie hatten. Das hätte man nutzen können, um dieses Land zu separieren und aus der Gemeinschaft herauszuholen. Doch dann hätten Sie sich eines potentiellen Verbündeten in der Gemeinschaft begeben. Und es hätte die anderen Länder der Gemeinschaft enger zusammengeschmiedet, was nicht in Ihrem Interesse lag. So warteten Sie erst einmal, machten den Vertretern des kleinen Landes wage Versprechungen – aber nicht mehr. Tatsächlich raffte sich die Gemeinschaft zusammen und nahm den sich immer noch sträubenden Kleinen an die Hand.

Bei diesem Prozess war Ihnen etwas aufgefallen, das Sie früher schon zu beobachten gemeint hatten. Die Gemeinschaft wurde von zwei großen Partnern zusammengehalten. Doch der eine dieser Partner schwächelte bereits. Innere Probleme mit einer gegängelten Wirtschaft und ein hoher Anteil von glaubensfremden Zuwanderern – eine Folge der früheren Kolonialpolitik dieses Landes – hatten dieses Land von innen heraus verunsichert. Zu Ihrer großen Freude war dort bereits eine Bewegung auf dem Vormarsch, die genau Ihren Vorstellungen entsprach und die Gemeinschaft zerstören wollte. Auch in der dritten wichtigen Macht der Gemeinschaft spielten Ihnen entsprechende Kräfte in die Hände – Sie unterstützten beide mit Geldzuwendungen und Ihrer Propaganda, die Sie wie ein schleichendes Gift in die Gesellschaften träufeln ließen.

In der Gemeinschaft hatte sich so die Macht auf deren wirtschaftlich stärksten Partner konzentriert. Dieser Partner war schon vor hundert Jahren der mächtigste Ihrer unmittelbaren Nachbarn gewesen und erst in einem langen Krieg mit mehreren heißen, vernichtungsreichen Phasen aus dem Rennen genommen worden. Doch danach hatte er sich erstaunlich schnell wieder erholt und war fast zu alter Stärke herangewachsen – zumindest wirtschaftlich. Militärisch allerdings war dieses Land völlig unbedeutend. Pazifistische Regierungen ebenso wie die feste Überzeugung, dass es keine Bedrohungen gebe, hatten das Militär kaputt gemacht.

Trotzdem war ein militärischer Angriff auf dieses Land aus vielen Gründen nicht möglich. Nicht nur, weil auf dem Marsch dorthin ihre gegenwärtig unabhängigen Ex-Kolonien im Wege waren – dieses Land war auch immer noch ein wichtiger Verbündeter Ihres ärgsten Gegners. Was also war zu tun?

Sie kannten dieses Land gut, denn ein Teil davon war früher auch eine Kolonie Ihres Reiches und Sie selbst waren dort über einen längeren Zeitraum stationiert gewesen. Sie wussten daher auch, dass insbesondere in dem Teil, der früher Ihre Kolonie gewesen war, immer noch Menschen zu finden waren, die in ihren Köpfen und Herzen die ehemalige Kolonialmacht zutiefst verehrten. Auch hatten Sie über Mittelmänner immer noch den einen oder anderen Kontakt zu alten Freunden.

Sie wussten, dass Ihre ehemaligen Kolonialbürger durch ihre lange Eingeschlossenheit in Ihrem Kolonialsystem lange nicht so weltoffen waren wie jene, die seinerzeit auf der anderen Seite jenseits der Grenzen Ihres Kolonialreichs gelebt hatten. Diese anderen aber hatten sich – auch das war Ihnen bekannt – über die Jahre des Friedens und weil man Ihnen immer wieder vorgehalten hatte, dass sie ganz allein an den letzten Kriegen Schuld trügen und damit verantwortlich seien für Abermillionen Tote, immer mehr irrationaler Träumereien hingegeben. Statt – wie Sie es taten – in klaren Machtkategorien und in konkreten, imperialen Zielen zu denken, träumte man dort von einer globalen Gemeinschaft, die alles renaturiert, alle Waffen abschafft und für alle Ewigkeit in Frieden leben würde. Aus Ihrer Sicht war das natürlich völlig absurd – aber es gab Ihnen gerade diese Träumerei einer Mehrheit der Menschen die Möglichkeit, hier mit Ihrem Subversionskrieg anzusetzen.

Denn dass Sie um Ihrer selbst willen dieses Ankerland der Gemeinschaft – sie nannten es so, weil daran das gesamte Schiff der Gemeinschaft hing – ausschalten mussten, daran gab es für Sie keinen Zweifel mehr. Fiel dieses Land ins Chaos, würde die Gemeinschaft ins Chaos fallen. Würde die Gemeinschaft ins Chaos fallen, hätte der große überseeische Partner kaum noch eine Möglichkeit, im Ernstfall erfolgreich einzugreifen. Und das bedeutete für Sie: Sie könnten sich Stück für Stück nach der bereits jüngst beim Nachbarn erprobten Strategie die ehemaligen Kolonien zurück holen, den überseeischen Gegner abkoppeln und letztlich die Herrschaft über einen ganzen, reichen Kontinent übernehmen – in Ihrer prekären Finanzlage die letzte Rettung.

Was also war zu tun? Eine radikale Glaubensgemeinschaft, die mittlerweile auch in diesem Land vertreten war, gab die Gelegenheit, einen ersten, noch unbedeutenden Keim der Unruhe zu zu setzen. In der Stadt, in der Sie als Kolonialbeamter tätig gewesen waren, ließen Sie über im Hintergrund wirkende Vertraute aus damaliger Zeit eine Bewegung entstehen, die regelmäßig Aufmärsche gegen die vorgebliche Gefahr durch jene Glaubensgemeinschaft organisierte und sich dabei, wie erhofft, eines ständigen Zulaufs erfreute. Neben diesem Schüren der Angst vor den Glaubensfremden sollte die Bewegung ihre Führung heftig kritisieren und von Mal zu Mal etwas mehr Nähe zur alten Kolonialmacht demonstrieren. Es galt, sich an diese wieder zu gewöhnen und Ängste vor ihr abzubauen, denn irgendwann könnten dann vielleicht die Parteigänger der Kolonialmacht die Angst vor den Glaubensfremden zur Machtergreifung nutzen.
Damit allerdings gaben Sie sich nicht zufrieden, denn Ihnen war bewusst, dass dieses Ankerland noch zu stabil war, um von Ihren Strategen ausschließlich über diese eine Bewegung gekippt zu werden.

Wieder einmal hatten Sie ungeahntes Glück. Als es einst um eine Wahl zur Besetzung des Parlaments der Gemeinschaft ging, hatten die Zeitungen die Gruppierung eines unbedeutenden Hochschulprofessors derart aktiv unterstützt, dass diese plötzlich als Konkurrenz zu den alten Parteien dastand und in das Parlament eingezogen war. Da jedoch dieser Professor niemals für Ihre Interessen zu gewinnen sein würde, musste er weg. Die Partei aber musste bleiben und in Ihrem Sinne tätig werden. Mit von Ihnen instrumentalisierbaren Parteikadern gelang der Coup – und nun hatten Sie neben der Bürgerprotestbewegung auch schon den indirekten Zugriff auf eine Partei, die gute Chancen hatte, in den kommenden Monaten in viele Parlamente des Ankerlandes einzuziehen.

Gleichzeitig erhöhten Sie Ihren finanziellen Einsatz zur Desinformation der Bürger des Ankerlandes. Dabei half es Ihnen, dass die Mediengesetze in diesem Lande so waren, dass Sie ungehindert eigene Propagandasender betreiben und jede noch so hanebüchene Meldung verbreiten konnten. Viel wichtiger aber war es, dass die Medien, die das Land informell beherrschten, seit langer Zeit durchsetzt war mit Menschen, die gegen Ihren ärgsten Gegner eine tiefgreifende Abneigung empfanden. Diese waren daher immer schnell geneigt, Ihnen und Ihrer früheren Kolonialmacht positiv gegenüber zu stehen. Auch hatten Sie sich schon früher einen ehemaligen Chef dieses Landes für die Unterstützung Ihrer Interessen eingekauft. Dem wiederum war es gelungen, in der Regierung des Landes wichtige Positionen mit seinen Leuten zu besetzen. Das war auch deshalb hilfreich, weil von dort immer wieder gegen jene Sie hart treffenden Sanktionen agitiert werden konnte, die Ihr ärgster Gegner zu Ihrem Leidwesen als Strafmaßnahme nach Ihrer Inselübernahme gegen Sie durchgesetzt hatte.

All das würde aber noch nicht ausreichen, um dieses an sich extrem stabile Land zu kippen. So holten Sie aus alten Tagen eine Geheimwaffe heraus, die schon vor über 30 Jahren im Sinne Ihrer Kolonialmacht aktiv gewesen war. Es ging dabei um eine aus wenigen Personen bestehende Gruppe krimineller Attentäter, die zuletzt eingesetzt worden waren, um einige Personen aus dem Weg zu räumen, die im Zuge der Übernahme Ihres kolonialen Anteils des Landes durch die andere Hälfte zu tief in die wirtschaftlichen Verflechtungen Ihrer damaligen Freunde hätten Einblick nehmen können.

Ihr Vorgänger hatte diese kriminellen Personen später angewiesen, sich als Kampfgemeinschaft für aufgelöst zu erklären – in der falschen Annahme, dass es keinen Konflikt mehr mit dem Ankerland geben werde. Doch kluge Mitdenker Ihrer eigenen Firma hatten den Kontakt niemals ganz abbrechen lassen. Nun war es so weit, sie wieder einzusetzen. Mit der ausdrücklichen Order, an den Tatorten, bei denen es auf den Erfolg der Tat nicht ankam, eindeutige, aber wie zufällig verbliebene Hinweise auf ihre Identität zu hinterlassen, sollten sie in alter Tradition mit Raubüberfällen beginnen. Allein die Wiederbelebung einer inneren Terrororganisation konnte ein weiteres Element zur Destabilisierung dieses immer beunruhigten Landes werden – allein deren Reaktivierung war ein Faktor, der Angst verbreiten konnte. Und wofür man sie später noch einsetzen konnte, um über dem Mord an einem führenden Politiker oder Wirtschaftsmann Panik zu erzeugen, würde die Zeit zeigen.

Den größten Coup gegen das Ankerland aber hatten einige Mitarbeiter Ihrer Firma mit früheren Freunden aus einem etwas ferneren Land ausgearbeitet. Dort hatte vor einigen Jahren Ihr ärgster Gegner einen gravierenden Fehler gemacht, als er eine intakte Staatsstruktur militärisch zerstörte statt sie behutsam von innen heraus zu übernehmen. Die wichtigsten Köpfe des vertriebenen Regimes – zu dem Ihre Firma traditionell gute Kontakte hatte – waren in der Lage gewesen, eine kleine, schlagkräftige Organisation zu schaffen. Diese konnte mit absolut brutalem und menschenverachtendem, religiös begründetem Vorgehen in einer Bürgerkriegsregion schnell militärische, aber mehr noch propagandistische Erfolge erringen. Ihre Firma trug durch deren Unterstützung dazu bei, nicht nur jene Region weiter zu destabilisieren , sondern fütterte damit gleichzeitig die weltweiten Ängste vor den Anhängern dieses Glaubens, dem auch in den Ländern der von Ihnen zu übernehmenden Gemeinschaft und dem Ankerland immer mehr Menschen angehörten.

Wenn es nun – so die Überlegung Ihrer Experten und jener Kontaktleute – möglich wäre, die zahllosen Flüchtlinge in der Region ebenso wie jene Anhänger dieses archaischen Glaubens aus anderen Ländern, die alle neidvoll auf den Wohlstand jener Gemeinschaft hinter dem großen Meer schielten, genau dorthin zu treiben – und am besten vor allem in das Ankerland – dann würde dieses entweder dazu führen, dass diese Gemeinschaft ihren fast schon heilig gehaltenen, humanen Anspruch, den sie wie eine Monstranz vor sich hertrug, aufgeben und die Menschen im Zweifel sogar sterben lasssen müsste – was einen dauerhaften Konflikt zwischen den Humanisten und den Realisten sowohl innerhalb dieser Gemeinschaft wie zwischen der Gemeinschaft und den südlich davon lebenden Ländern der Hungerleider zu Folge haben würde. Oder die anbrandenden Menschenmengen würden weitgehend unkontrolliert in die Gemeinschaft fluten können, innerhalb dieser zu einem unberechenbaren und unkalkulierbaren Sprengstoff für die innere Ordnung werden. Beides konnte Ihnen als Feldherr mit dem Ziel, diese Gemeinschaft zu zerstören, nur recht sein.

Um zu erreichen, dass diese zahlreichen Menschen ihren Weg nach Ankerland antraten, hatten die Gewährsleute Ihrer Spezialisten ein ganz simples Vorgehen entwickelt. Da diese Menschen wie Kinder seien, müsse man ihnen nur vorgauckeln, dass sie am Ort ihrer Träume mit offenen Armen empfangen und sogleich mit einem Haus und genügend Geld ausgestattet würden. Entsprechende Nachrichten, vorgeblich von jenen, die ihr Ziel bereits erreicht hatten, konnte man über die sozialen Netzwerke problemlos verbreiten. Moderne Kommunikationsgeräte hatten all diese kindlichen Menschen zur Verfügung – und so war es ein leichtes, mit simplen, entsprechenden Nachrichten, deren eigentlichen Ursprung niemand nachvollziehen konnte, bereits in einer ersten Welle über eine Million Menschen in Bewegung zu setzen.

Das Erwartete geschah – statt diese Menschen abzuweisen und damit ihren Tod in Kauf zu nehmen, wurden sie unkontrolliert eingelassen. Gleichzeitig organisierten Ihre Gewährsleute über ihre Glaubenskrieger Anschläge in dem zweitwichtigsten Land der Gemeinschaft. Dabei vermittelten sie den Eindruck, es sei ein ganz großer Schlag gegen zehntausende von Menschen aus dem Ankerland und dem Anschlagsland geplant gewesen, die zu diesem Zeitpunkt gemeinsam ihrem Lieblingssport zuschauten. Dass es nicht dazu kam, war gar nicht mehr wichtig – Ihnen ging es auch hier nur um die Verunsicherung. Zielsicher schürten Sie so bei den ohnehin schon verunsicherten Bewohnern des Ankerlandes weitere Ängste vor jenen Menschen, die Sie gerade auf den Weg ins Ankerland geschickt hatten.

Gleichzeitig griffen Sie auch selbst in einen der Konflikte ein, der die Menschenströme organisierte indem er ihre Heimat verwüstete. So hatten Sie jederzeit die Möglichkeit, etwas steuernd in die Bewegungen einzugreifen und weitere Entwurzelte zu schaffen. Dabei half Ihnen einer Ihrer dortigen Konkurrenten, indem er alles daran setzte, diese in Bewegung geratenen Massen möglich schnell weiter zu schicken. Ganz nebenbei konnten Sie mit Ihrer Anwesenheit in jenem fernen Land Druck auf ihren ärgsten Gegner ausüben, denn dessen Verbündeter, Ihr Rohstoffkonkurrent, rückte so für Sie in erreichbare Nähe.

Was Sie erhofft hatten, geschah. Das Ankerland hieß die von Ihnen auf den Weg geschickten Menschenmengen, die fast nur aus jungen Männern bestanden, in einer menschlichen Anwandlung überschwänglich willkommen – und wurde dann fast zerrissen von seinen inneren Widersprüchen. Die Anzahl der durch halb Europa wandernden Menschen war ausreichend gewesen, um alle Instanzen des Landes und gleichzeitig seiner Nachbarn restlos zu überfordern. Die regierenden Politiker liefen wie aufgeregte Hühner durcheinander – konzeptions- und hilflos.

Für Sie stand fest: Notfalls müssten Sie nur noch einmal eine solche Menschenwelle auf den Weg bringen – dann würde es dieses Land in sich selbst zerreißen. Dabei nutzten Sie die nächste sich bietende Gelegenheit, um die anfänglich positive Stimmung in ihr Gegenteil zu verkehren. Denn Sie hatten in den vergangenen zwei Jahren all Ihr Geld für die Übernahme der ehemaligen Kolonie und die Subversion in Ankerland und Gemeinschaft ausgegeben – in dem nun anstehenden Jahr musste der erste Teil ihrer Aktion – die Vernichtung der Gemeinschaft – erfolgreich abgeschlossen werden.
Sie ließen durch Mittelsmänner dafür sorgen, dass bei einem kollektiven Feiertag zum Jahreswechsel viele der in das Ankerland geschickten, jungen Männer die dort arglos feiernden Frauen hemmungslos belästigten. Das musste die Abscheu vieler der Ankerland-Bewohner gegen die mittlerweile nicht mehr zu kontrollierenden Neuankömmlinge hervorrufen.

Eine andere Abteilung Ihrer Firma verbreitete derweil unter jenen Ankerland-Bewohnern, die aus Ihrem eigenen Land gekommen waren, grausame Geschichten über die angebliche, zehnstündige Vergewaltigung einer nur 13 Jahre alten Landsmännin durch einen jener jungen Männer. Diese Horromeldung wurde in diesen Kreisen sofort und ungeprüft als Tatsache aufgenommen und ließ den Ruf nach einem Ihrer auch im Ankerland aktiven, kriminellen Ableger laut werden ließen.

Gleichzeitig waren Ihre Mitarbeiter auch in den weniger bedeutenden Ländern der Gemeinschaft aktiv. Sie trugen dort mit Geld und Propaganda sowie im Schüren alter Ressentiments gegen das Ankerland dazu bei, subversive Elemente zu unterstützen und die Regierenden zu desavouieren. Die unendliche Naivität der Verantwortlichen in all diesen Ländern war dabei Ihr bester Verbündeter.

So waren Sie zu Beginn des dritten Jahres Ihres Angriffs auf die Gemeinschaft und auf das Ankerland eigentlich bestens aufgestellt. Die Möglichkeit, das verhasste Bündnis zwischen dieser Gemeinschaft und ihrem ärgsten Gegner zu vernichten, schien fast schon zum Greifen nahe.

Ihr einziges Problem war es, dass Sie kaum noch Geld hatten und immer weniger in Ihre Taschen floss. Deshalb musste Ihr Plan in diesem Jahr zum Abschluss gebracht werden.
Sollte das gelingen – woran Sie selbst niemals einen Zweifel gehegt hatten – dann wäre dieses der größte Coup der Weltgeschichte. Sie hätten ohne einen einzigen Schuß ein Reich besiegt und übernommen, das mit seinen Möglichkeiten eigentlich das mächtigste auf der Erde hätte sein müssen. Aber da es sich immer wieder innerlich zerstritt, seine Bewohner sich in schöne Utopien statt in konkrete Politik retteten und Sie diese Schwächen perfekt nutzen konnten, wurde es für Sie und Ihren genialen Strategen zur leichten Beute. Schon jetzt waren Sie einer der größten Strategen aller Zeiten – nach diesem Jahr würden Sie der einzige sein, dem dieser Titel gebührte …

 

… wie gesagt. Nur das Sujet für einen niemals geschriebenen Roman.

©2016 spahn

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